Twer Gebiet

Oktober, 2019
200 km von Moskau
500 km von Sankt Petersburg

Land und Leute, Geschichte,
Wolgalandschaften
Provinz zwischen Hauptstädten
außerhalb der populären touristischen Routen
Anna Safronowa
Erlebnisse

  • nicht-touristisches provinzielles Russland zwischen zwei Hauptstädten erleben
  • den Reisepalast von Kaiserin Katharina der Großen in Twer besichtigen
  • majestätische Schönheit eines der malerischsten Klöster in Torzhok genießen
  • den in der Wolga überschwemmten Glockenturm in Kaljasin bewundern
Twer Gebiet ist eine große malerische Region nordwestlich von Moskau. In der Antike war es ein wohlhabendes Fürstentum, in der Zarenzeit hielten hier Kaiser während der Reisen nach Sankt Petersburg an und bauten für sich Reisepaläste. Hier entfließt die Wolga, befinden sich große Stauseen, dichte Wälder, kleine Provinzstädte, alte Klöster, Kirchen und Anwesen. Viele davon sind verlassen, und oft entdeckt man unterwegs öde Dörfer und verfallene Kirchen, deren Besuch bereits zu einem eigenständigen touristischen Trend geworden ist. Ausländer sind in Twer selten zu treffen, und Reisende aus Moskau kommen zur Erholung im Freien und während kleiner Kreuzfahrten entlang der Wolga.

Partnerstädte in Deutschland:
Twer – Osnabrück, Torzhok – Melle

Ein Besuch im Twer Gebiet fällt jemandem selten ein, der seine Reise nach Russland plant. Hat es weltberühmte Sehenswürdigkeiten? Nein. Bietet es viele Aktivitäten und atemberaubende Aussichten an? Auch nicht. Lohnt es sich Twer bei der ersten Reise nach Russland zu besuchen? Nicht sicher. Würde ich einem erfahrenen Reisenden, der das echte nicht-touristische Russland sehen möchte, empfehlen, einmal hier vorbeizuschauen? Ja.

Wenn Sie zum ersten Mal nach Russland reisen und es sich als farbenfrohes Bild mit goldenen Kuppeln, weißen Birken, bunten Matrjoschkas, rotem Kaviar und Lenin-Denkmälern auf jedem Schritt und Tritt vorstellen, dann wäre Twer höchstwahrscheinlich nicht die richtige Wahl (obwohl es hier auch genug Lenin-Denkmäler gibt). Entscheiden Sie sich dafür lieber für den Goldenen Ring. Touristen sind dort jeden Tag willkommen, und dies beeinflusst das Erscheinungsbild der Städte - sie stellen die traditionelle typisch russische Gestalt dar, damit die Erwartungen mit der Realität übereinstimmen.

Twer ist anders. Trotz der malerischen Wolgalandschaften, reichhaltiger Geschichte und günstiger Lage zwischen Moskau und Sankt Petersburg (Twer ist meistens die einzige Haltestelle des Schnellzuges Sapsan zwischen den beiden Hauptstädten), ist das Gebiet nicht zum populären Touristenmekka geworden. Seltene Touristen sind Moskauer, die sich abseits der Metropole ausruhen möchten.

Warum ist jedoch Twer eine Reise wert? Gerade deswegen.

Twer ist eine von hunderten russischen Städten, die nicht von touristischer Aufmerksamkeit verwöhnt sind (und nahe Moskau). Ohne Luxus-Hotels, schicke Restaurants, Kalinka-Malinka-Bands, Läden mit Matrjoschkas und Porträts des Präsidenten und künstliche Lächeln wie in üblichen Touristenorten. Nur das Leben - alltäglich und nicht hinter dekorativen Fassaden versteckt. Das Leben, das Millionen Russen jeden Tag in ähnlichen Städten tausend Kilometer von Moskau entfernt leben.

Twer bietet ehrliches Bild an. Das Gebiet ist praktisch der Rekordhalter im europäischen Teil Russlands für die Anzahl verlassener Orte und interessanter architektonischer und historischer Sehenswürdigkeiten, die von Restauratoren nicht berührt worden sind und einfach einstürzen. In malerischen Landschaften sehen sie sehr bilderreich aus und locken Fotografen, erfahrene Reisenden und Entdecker an. Da Twer sehr günstig direkt auf dem Weg von Moskau nach Sankt Petersburg liegt, möchten auch ausländische Reisende manchmal hier vorbeischauen, um etwas in der Provinz zu sehen. Ich möchte berichten, was man in Twer besichtigen kann, damit Sie sich bei Reiseplanung richtig entscheiden können.

Twer Gebiet in Russland
Unterwegs im Twer Gebiet

Twer

Das Gebiet grenzt an Moskau und ist riesig: sein Gelände entspricht ungefähr der Fläche Österreichs oder zweimal der Schweiz. Nur die Stadt Twer ist nach der Größe mit Liechtenstein vergleichbar. Hier entfließen die großen Flüsse: die Wolga und die Westliche Dwina (Deutsch – Düna, Lettisch - Daugava), auf denen Stauseen angelegt sind. Die Landschaft unterwegs wirkt beruhigend: spiegelglatte Flüsse und Seen, sandige Ufer und dichte Kiefernwälder.

Twer ist der Ausgangspunkt für alle Reisen innerhalb der Region, deswegen nehmen wir einen Schnellzug, um ein paar Stunden durch die Stadt zu bummeln und dann weiter nach Torzhok zu fahren. Es ist auch bequem einen Besuch in Twer als Tagesausflug aus Moskau zu planen.

Twer Landschaften: Seen, Flüße, Wälder
Twer wurde im Jahr 1135, 12 Jahre früher als Moskau, gegründet und hätte auch die russische Hauptstadt werden können, wenn der Kampf um die Macht mit dem Moskauer Fürstentum nicht verloren wäre. Zuerst gehörte Twer zum Fürstentum Susdal, dann zum Fürstentum Pereslawl, aber im 13. Jahrhundert trennte es sich davon ab und wurde dank günstiger Lage und der Handelsentwicklung schnell reich. Sein politischer Einfluss im Nordosten Russlands war stark und die militärische Macht war groß. Es wurden der befestigte Kreml errichtet, der beim Brand im 18. Jahrhundert zerstört wurde, und prachtvolle Kathedralen erbaut, die in den 1930er Jahren von Bolschewiken in die Luft gesprengt wurden. Bis jetzt werden archäologische Ausgrabungen durchgeführt, die neue Seiten in der Stadtgeschichte und uralte Artefakte aufdecken.

Der Niedergang von Twer als bedeutendes wirtschaftliches und politisches Zentrum begann im 15. Jahrhundert. Durch die Überfälle der tatarisch-mongolischen Truppen geschwächt, konnte es dem Andrang des erstarkten Moskaus nicht widerstehen und wurde schließlich zum Teil des Moskauer Fürstentums. Am Anfang des 17. Jahrhunderts wurde es von den polnisch-litauischen Truppen fast vollständig zerstört und niedergebrannt. Erst im 18. Jahrhundert schenkte Peter der Große Twer eine zweite Chance: er befestigte die Stadt wieder und baute ein Wassersystem, das die Wolga mit der Ostsee verband. Damals wurden die wichtigsten erhaltenen Stadtbauten errichtet: Brücken, Kirchen, Bastionen. Katharina die Große setzte Peters Arbeit fort und schätzte hoch die Rolle von Twer ein als Knotenpunkt auf dem Weg von Moskau in die neue Hauptstadt Sankt Petersburg, zwischen denen sie oft reiste. Unterwegs ließ sie das Reise- und Relaispalais im klassizistischen Stil mit Barock-Dekoration und einem Garten für die Kaiserfamilie bauen – heute ist es das architektonische Wahrzeichen der Stadt und örtliche Kunstgalerie.

Reisen nach Twer in Russland
Reisepalast von Katharina der Großen in Twer
Im 19. Jahrhundert erlebte Twer wieder die Blütezeit. Zwischen zwei Hauptstädten legte man die berühmte Eisenbahn an, öffnete zahlreiche Betriebe, darunter Sägewerke und Webereien, sowie eine Dampfschifflinie. Twer wurde zum größten Industriezentrum Russlands. Die im 20. Jahrhundert zur Macht gekommenen Bolschewiki vernichteten schnell das kirchliche Erbe des 13.-15. Jhdt. und benannten die Stadt in Kalinin nach dem berühmten Parteifunktionär um. Dann brach der Krieg aus, während der Besatzung wurde mehr als die Hälfte der Wohnhäuser und Betriebe zerstört und schrittweise in folgenden Jahren wiederaufgebaut.

Das tragische Schicksal des schönen uralten Twers weckt Mitleid, als ginge es um einen Menschen. Nach zahlreichen Verlusten, Verwüstungen, Bränden und Kriegen lebt es weiter und erzählt über sich selbst mit jeder abblätternden Fassade, dem Gedenkkreuz, an dessen Stelle früher eine gesprengte Kirche gestanden hat, oder einem alten Kloster, das sehr beschädigt, aber jedoch alle Schicksalsschläge überwunden haben konnte.

verlassene Kirche im Twer Gebiet in Russland
verlassene Kirche im Twer Gebiet
Am Bahnhof angekommen, laufen wir zur Wolga. Unterwegs wird das Bild der Stadtarchitektur gesammelt: hauptsächlich sind es erhaltene vorrevolutionäre Gebäude und typische sowjetische Blockhäuser entlang einer breiten Allee. Diesen Weg fuhren früher Kaiser in die Stadt ein und erholten sich im Reisepalast am Wolgaufer. Beim Eingang zum Kaisergarten begrüßt uns das Denkmal für Alexander Puschkin. So wie viele herausragende Persönlichkeiten im Russischen Reich, die in Moskau oder Sankt Petersburg lebten, besuchte er oft Twer und beschrieb die Stadt in seinen Werken.

Während der langen Geschichte wechselte das im 18. Jahrhundert für Katharina die Große erbaute Palais viele Besitzer, wurde mehrmals umgebaut und erhielt eine große Sammlung von Gemälden, Skulpturen, authentischen Möbelstücken und Gegenständen des Zarenhaushaltes. Das Twer-Palais ist natürlich nicht mit Palästen von Sankt Petersburg in Pracht zu vergleichen, in denen die kaiserliche Familie dauerhaft gewohnt hat, aber sieht jedoch für kurze Zwischenstopps großartig aus. Kaiser versammelten hier Freunde, luden Dichter, Schriftsteller, Philosophen ein, also waren auch viele berühmte Russen in dem Palast oft zu Besuch.

Heute ist es hier genauso feierlich – im Palast befindet sich eine Galerie europäischer Kunst des 17.-18. Jhdt. und russischer Maler, darunter Iwan Aiwasowski, Isaak Lewitan, Wassili Polenow, einer Sammlung der altrussischen Fresken und Ikonenmalerei sowie ein Porzellan-Kabinett, das teilweise in der Meißener Porzellanmanufaktur in Deutschland vor fast 250 Jahren hergestellt wurde.

In der Tiefe des kaiserlichen Gartens erhöht sich die Erlöser-Verklärungskathedrale, das Hauptheiligtum von Twer. Sie wurde 1285 angelegt, aber erst vor kurzem erbaut. Wie ist es möglich? Im 13. Jahrhundert befand sich an dieser Stelle eine weißsteinerne Kathedrale, die erste russische Kathedrale in der nachmongolischen Zeit, die den Bau ähnlicher Kirchen in Nowgorod und Rostow Weliki inspirierte. Während des polnisch-russischen Krieges im frühen 17. Jhdt. wurde sie abgerissen und an ihrer Stelle entstand eine neue Kirche. Aber auch sie konnte nicht standhalten und wurde 1935 nach Erlass der Sowjetregierung in die Luft gesprengt. Seit Jahren befand sich hier ein Gedenkkreuz, das an den großen Verlust von Twer erinnerte. Nach langen Ausgrabungen und Recherchen von historischen Dokumenten, Zeichnungen, Fotos wurde die Kathedrale wiederaufgebaut und bildet nun mit dem Reisepalast ein großartiges einheitliches architektonisches Ensemble. Hoffentlich wird das Schicksal der neuen Kathedrale glücklicher als bei ihren Vorgängern.

Der kaiserliche Palast ist eine echte Verzierung der ziemlich bescheidenen Uferpromenade. Twer liegt an beiden Ufern der Wolga, deswegen überqueren wir sie über die Brücke und genießen das Stadtaussehen im 18. Jahrhundert – nach dem regulären Bauplan wurden farbige Kaufmannshäuser damals mit geschlossenen Fassaden errichtet, so dass sie dicht beieinander direkt am Wasser lagen.
Reisen auf der Wolga nach Twer in Russland
Wolga in Twer
Der Kai am gegenüberliegenden Ufer trägt den Namen von Afanassij Nikitin. Alle Russen kennen sein Werk "Reise über drei Meere" aus dem Schulprogramm. In den Jahren 1466-1474 unternahm der Twerer Kaufmann und Schriftsteller Afanassij Nikitin eine lange Handelsreise durch Persien, Indien, die Türkei und beschrieb sie in Reisenotizen, die später zu einem der ersten nichtreligiösen Werke der altrussischen Literatur wurden. Er berichtete über Staatsstruktur, Handel, Landwirtschaft, Bräuche und Traditionen der besuchten Länder, dachte viel über seine Eindrücke nach, erzählte über das Leben und Abenteuer unterwegs.

Am Ende des breiten Prospekts fließе die Wolga und ihr Nebenfluss - die Twerza - zusammen. Früher war hier ein schöner Erholungsort mit einem grünen Park, in dem zu Sowjetzeiten das festliche Gebäude des Flusshafens errichtet wurde - das Haupttor zu Twer, an dem mehrere Wolgaschiffe anlegten. Aber allmählich ging die Schifffahrt in Twer zurück, die Finanzierung wurde reduziert, und das majestätische Flusshafengebäude im stalinistischen Baustil mit einer Leuchtturmspitze verfiel und begann schließlich einzustürzen. Jetzt ist es geschlossen, aber es besteht immer noch eine Hoffnung auf Restaurierung, denn im Inneren sind noch festliche Räume, Treppen, Säulen teilweise erhalten geblieben.

Früher galt Twer als einer der größten Häfen an der Wolga, täglich legten zahlreiche Linien- und Kreuzfahrtschiffe mit hunderten Fahrgästen hier an und ab. Ja, auch heute empfängt Twer Reisende auf dem Wasserweg, aber keineswegs so viel, wie z.B. Jaroslawl oder Nischni Nowgorod.

Seit dem 13. Jahrhundert befand sich an der Stelle des Flusshafens das Maria-Entschlafens-Kloster, damals das bedeutendste Kloster in Twer. Aber auch es wurde nach der Revolution zerstört. Im Laufe von weniger als hundert Jahren sind zwei große Baudenkmäler verloren gegangen. Es ist ja schmerzhaft sowas anzusehen. Zum Glück wurde die Maria-Entschlafens-Kathedrale des Klosters zu Sowjetzeiten verschont – sie störte den Neubau nicht, wurde geschlossen, aber zumindest nicht abgerissen. Am anderen Ufer der Twerza erhebt sich sehr malerisch das elegante Ensemble des Katharinenklosters.

Katharinenkloster in Twer auf der Wolga in Russland
Katharinenkloster an der Wolga
Es gibt viele sehr authentische Ecken in Twer, die von verschiedenen Seiten der Stadtgeschichte berichten. Nahe der Weißen Dreifaltigkeitskirche, dem ältesten erhaltenen Steingebäude in Twer (erbaut 1564), liegt die gemütliche Troizkaja Straße. Dank den alten privaten Holzhäusern mit kleinen Innenhöfen, Mansarden und bunten Fensterläden kann man sich hier noch wie in einem Dorf aus dem 18. Jhdt. fühlen. Einige Hausbesitzer versuchen das Erbe ihrer Vorfahren aufzubewahren und die Häuser zu pflegen, aber andere lassen sie einstürzen oder reißen alte Bauten ab und errichten an ihren Stellen neue gesichtslose Gebäude, so dass das alte Stadtviertel allmählich verschwindet.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Twer zum größten industriellen Zentrum, es wurden große Fabriken mit tausenden Arbeitsplätzen gebaut. Die größte davon war die Twer-Papiermanufaktur, die ein ganzes Stadtviertel nicht nur mit Werkstätten, sondern auch Mietskasernen errichtete. Die typischen Industriebauten aus rotem Backstein sahen robust aus, wurden aber doch mit dekorativen Elementen und Buntglasfenstern geschmückt. Eines der Gebäude verfügte sogar über eine Sternwarte, denn die Fabrikgründer schenkten besondere Aufmerksamkeit auf die geistige Entwicklung der einfachen Arbeiter.

Aber auch die robusten Häuser benötigen richtige Pflege. Zu Sowjetzeiten wurden Manufakturen verstaatlicht und dann, wie auch andere große Unternehmen, geschlossen. Trotzdem leben immer noch Menschen in den Kasernen in baufälligen Gemeinschaftswohnungen und hoffen auf die Umsiedlung und Renovierung. Das ehemalige Fabrikviertel wirkt beeindruckend. Oft werden hier Spielfilme über die Vorrevolution- und Vorkriegszeiten gedreht, denn keine besonderen Dekorationen müssen extra gebaut werden.

Schließlich schauen wir uns noch die Fußgängerzone an, suchen nach Souvenirs, trinken Kaffee und verabschieden uns von Twer. Der nächste Stopp ist meiner subjektiven Meinung nach die schönste Stadt im Twer Gebiet - Torzhok.

Torzhok

Die Schnellzugfahrt von Twer nach Torzhok dauert etwa eine Stunde. Unterwegs fallen sofort wilde Landschaften auf - man sieht nur sümpfige Wälder und ein paar kleine dünn besiedelte Dörfer. Torzhok ist bei Touristen sehr beliebt. Eine der ältesten Städte Russlands, bekannt seit dem 10. Jahrhundert, war ein großes Handelszentrum auf dem Weg vom Süden nach Weliki Nowgorod und später nach Sankt Petersburg. Wohlhabende Kaufleute investierten ihr Einkommen traditionell nicht nur in ihre eigenen Anwesen, sondern auch in den Bau von prachtvollen Kirchen und Klöstern.

In der Erwartung, zumindest Mini-Petersburg zu sehen, stiegen wir gespannt aus dem Zug. Eine bescheidene Station, kleine Holzhäuschen mit der in Innenhöfen getrockneten Wäsche und keine Leute. Tiefe Provinz. Auf den ersten Blick gar nicht touristisch, obwohl auch andere Touristen mit uns im Zug ankamen. Ok, wir machen uns auf die Suche nach malerischen Fotomotiven, die uns auf den Postkarten begeistert haben.

Kloster von Boris und Gleb in Torzhok
Durch Torzhok fließt auch die Twerza, und zuerst geht es zum Kai. Die Stadt liegt an beiden Ufern, und beim Überqueren der Brücke erkennt man endlich berühmte Aussichten: bunte zwei- und dreistöckige Kaufmannshäuser, Turmspitzen der Klöster und Kuppeln der Kirchen auf Hügeln und alten Erdwällen spiegeln sich im Fluss. Es ist schön hier, aber nicht so wie in Susdal oder Jaroslawl. Nicht touristisch schön. Betrachtet man die Gegend ausführlicher, fällt es sowieso ein, dass Hausfassaden zum Teil abblättern, Kirchenkuppeln schon längst gestrichen und Straßen repariert werden sollten. Aber im Allgemeinen - eine sehr malerische Aussicht.
Tipp von Anna: historisch ist Torzhok für Kunsthandwerker berühmt. Zum Stadtzeichen wurde Stickerei mit vergoldeten Fäden. Das alte Verfahren der Goldstickerei wird bis heute erhalten, daher wären ein Schal oder eine Tischdecke von lokalen Handwerkerinnen wunderbare Geschenke aus Russland
Baudenkmäler von Torzhok verdienen nicht weniger Aufmerksamkeit als berühmte Kirchen des Goldenen Rings. Das Kloster von Heiligen Boris und Gleb wurde im Jahr 1038 gegründet und ist vielleicht das älteste russische Kloster. Was es alles für fast tausend Jahre erlebt hat. Torzhok ging von Hand zu Hand, von Nowgorod zu Susdal, Twer und Moskau, wurde von mongolisch-tatarischen Truppen belagert, von Polen und Litauern in Wirren Zeiten verbrannt. Historische Holzbauten sind praktisch nicht erhalten geblieben und viele Steinkirchen wurden zerstört. Die derzeit älteste Kirche stammt aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. In der Sowjetzeit wurden die verschonten Sakralbauten als Lagerräume und Clubs genutzt, im Kloster funktionierte über 50 Jahre ein Gefängnis. Natürlich wurden die alten Innenräume beschädigt, aber hoffentlich nicht unwiederbringlich verloren.

In den letzten Jahren werden Restaurierungsarbeiten und archäologische Ausgrabungen im historischen Zentrum durchgeführt (bereits gefunden sind uralte Schätze und Birkenrindenbriefe aus vormongolischer Zeit) und auch eine Möglichkeit betrachtet, Torzhok in die Schutzliste vom UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen. Wenn dies passiert, sehen wir bald wahrscheinlich eine ganz andere Stadt - bunt, gepflegt und touristisch. Heute hat man hier aber das Gefühl für Jahrhunderte zurückversetzt zu sein und denkt darüber nach, wie sorgsam man mit der Geschichte und ihren lebendigen Zeugen – Baudenkmälern – umgehen muss. Solange sie noch gerettet werden können.

Reisen nach Torzhok im Twer Gebiet in Russland
Einheimische in Torzhok

Kaljasin

Kaljasin ist eine sehr kleine Stadt und liegt 2 Stunden Autofahrt entfernt von Twer in Richtung des Goldenen Rings. Wenn Sie sich entscheiden, von Twer weiter nach Uglitsch oder Jaroslawl zu reisen, lohnt es sich unbedingt hier vorbeizuschauen. Man sieht Kaljasin auch vom Wasser aus während der Wolgareise von Moskau nach St. Petersburg. Das berühmteste Wahrzeichen der Stadt und auch der ganzen Wolga ist der einzigartige 74 Meter hohe Glockenturm der Nikolaus-Kathedrale, der direkt aus dem Wasser ragt. Die Wolga macht an dieser Stelle eine scharfe Kurve und wird sehr weit und malerisch. Kreuzfahrtschiffe passieren Kaljasin normalerweise langsamer, damit Reisende die schlanke Konstruktion und die Glocken so nah wie möglich betrachten können. Das ist wirklich ein erstaunlicher, glückseliger Anblick!
Tipp von Anna: im Sommer kann man ein Boot mieten, um näher an den Glockenturm heranzukommen.
Wenn Sie im Winter nach Kaljasin reisen, läuft man gerade über das Eis
Russische Atlantis – so wird das teilweise überschwemmte Kaljasin volkstümlich genannt. Dies geschah in den 1930er Jahren. In der Sowjetunion lief der Industrialisierungsprozess: es wurden riesengroße Betriebe, Schifffahrtskanäle und Wasserkraftwerke errichtet. Während des Baus des Wasserkraftwerks in Uglitsch und der Füllung des Stausees sollten viele Siedlungen und Dörfer am Wolgaufer unter Wasser verschwinden.
überschwemmte Stadt Kaljasin an der Wolga in Russland
Hauptplatz in Kaljasin. 1903
Bewohner wurden umgesiedelt, Kirchen in die Luft gesprengt. Plätze, Häuser, Friedhöfe und das Kloster am gegenüberliegenden Ufer wurden vollständig überflutet. Der Glockenturm von Kaljasin ist auf wundersame Weise erhalten geblieben und dient immer noch als Leuchtturm für die Schiffe, die diesen komplizierten Abschnitt der Wasserstraße passieren. Früher erhöhte sich die Nikolaus-Kathedrale aus dem 17. Jahrhundert mit dem 1800 angebauten Glockenturm auf dem Hauptplatz der Stadt, der nun unter der Wolga liegt. Die angrenzende Straße bricht direkt am Wasserrand ab.

Diese erstaunliche dramatische Geschichte zieht nicht nur Touristen und Liebhaber der Stadtlegenden nach Kaljasin, sondern auch Taucher. Bis heute sind Überreste der antiken Stadt auf dem Wolga-Boden zu entdecken, darunter Münzen, Geschirr, Bruchstücke von Pflastersteinen und uralten Hausfundamenten. Um zu verhindern, dass der Glockenturm einstürzt und ins Wasser fällt, wurde er mit einer künstlichen Insel befestigt und 2021 einer umfassenden Restaurierung unterzogen. Kaljasin selbst ist recht klein und gar nicht touristisch, aber der Panoramablick auf die Wolga mit dem eleganten zauberhaften Glockenturm ist jedenfalls einen Besuch wert.

An der Wolga in Kaljasin
Von der Reise in das Twer Gebiet bringt man gemischte Gefühle mit. Einerseits wundert man sich über das kontrastreiche Bild der Provinz zu Moskau, verfolgt die bedeutendsten Seiten der russischen Geschichte und genießt bildhafte Landschaften und andererseits fragt man sich: wie ist die Zukunft von allen verlassenen Baudenkmälern? Und ist es noch möglich, Ihre einzigartige Schönheit zu bewahren?

Jährlich wird ihre Liste nur ergänzt, also ist es nicht gewiss, wie das Gebiet in ein paar Jahren aussehen wird: verliert es sein architektonisches Erbe für immer oder wird zum beliebtesten Reiseziel wie Goldener Ring? Daher war es mir wichtig, es im heutigen Zustand anzusehen und die Hoffnung auf die wohlhabende Zukunft auszudrücken. Besuchen Sie Twer von Moskau aus, während der Wolgareise oder unterwegs nach Sankt Petersburg.
Reisekarte Twer Gebiet Russland
  • REISEPLAN:
Tag 1 - Schnellzug Moskau - Twer. Besuch von Twer. Weiterfahrt nach Torzhok.
Tag 2 - Rundgang in Torzhok. Am Abend Rückfahrt nach Moskau mit dem Schnellzug via Twer.


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