Kenosero Naturschutzpark

Reise ins Land der Seen und Wälder
Archangelsk Gebiet, Mai 2016

Norden

1000 von Moskau
800 km von Sankt Petersburg

Russland außerhalb der Touristenpfade

Land und Leute, Dorfleben,
Holzbaukunst

Anna Safronowa

Erlebnisse

Russische Banja besuchen
Mit dem Boot fahren
Piroggen aus dem Ofen verkosten
Holzbaukunst bewundern
Einheimische im Dorf kennenlernen

Kenosero ist das Naturschutzgebiet im Norden Russlands in der Region Archangelsk, das zu den UNESCO-Biosphärenreservaten gehört. Das ist ein einzigartiger Ort in Russland, in dem unberührte Natur, Meisterwerke der Holzarchitektur und das traditionelle Dorfleben in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben sind.

Kargopol
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Werschinino
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Besuch der Einheimischen

"Osero" heißt See im Russischen. Wenn man auf die Karte des Russischen Nordens schaut, sieht man "Osero" überall: Tausende kleine und große, klare mit großen Steinen und gelbe vom tonigen Lehmboden, ruhige und quirlende – sie sind auf jeden Fall mit dichten Wäldern umgeben, welche sich im kalten Wasser widerspiegeln.

Dank der Lage weit von der Eisenbahnstrecke und den Großstädten bewahrt der Naturschutzpark Kenosero das richtige Dorfleben mit Ruhe, wilden Naturlandschaften und traditioneller Kultur, ohne ein chaotisches Touristen-Mekka geworden zu sein. Hier sehen Sie keine lauten Reisegruppen, gewöhnlichen Hotels, langen Schlangen in die Museen und typischen Reiseleiter. Auf dem Weg zu Ihrem Holzhaus am Seeufer treffen Sie lokale Dorfbewohner: ältere Damen mit Wassereimern, Jungs mit knarrenden Fahrrädern und natürlich viele Landtiere: Kühe, Ziegen und Hunde. Nach Kenosero kommen Volontäre und Künstler, die sich um den Naturschutzpark und die im Wald versteckten Holzkapellen kümmern, und Individualreisende, die ihre Lebensstärke nach dem stressigen Leben in den Großstädten wiederherstellen möchten.

Für die Gäste aus anderen Ländern wird eine Reise nach Kenosero zur außerordentlichen Chance das echte Russland zu erleben. Aber für uns, Bewohner der russischen Hauptstadt, war diese Reise im blühenden Mai ein richtiger Sprung in die Vergangenheit, in das Leben, das unsere Groß- und Urgroßeltern geführt haben.

Wir kommen zum Jaroslawler Bahnhof in Moskau und dem legendären Platz der drei Bahnhöfe an. Am Hauptgebäude mit der Spitze und dem kleinen Transsib-Denkmal vorbei zum ersten Gleis. Hier beginnt die 9000-Kilometer lange Strecke nach Wladiwostok. Unser Weg geht aber heute nach Norden, in das Archangelsk Gebiet, ins Land der Seen und Wälder.

Der Zug steht schon bereit, und wir betreten das gemütliche Abteil. Ein warmer Sonnenuntergang, Tee und leises Gespräch beim Geratter des Zuges machen uns schläfrig und wir träumen von einem neuen Tag, der uns in die andere Welt und Zeit bringt.

Im Schlafabteil

Im Zug schlafe ich nicht so gut, die Aufregung weckt mich immer früh. Ich gehe in den Flur und genieße die Landschaft: die Wälder und Seen scheinen mir im Morgennebel märchenhaft zu sein. Der Tag wird sonnig! Warmes Frühstück und starker Kaffee, Lächeln, kurz Sachen in den Rucksack packen und wir steigen an der kleinen Station Njandoma, 800 Kilometer nördlicher von Moskau, aus.

Unser Fahrer wartet schon auf uns. Bis zu unserem Ziel sind es noch 4 Stunden Autofahrt und wir machen uns auf den langen Weg. Unterwegs erfahren wir über die Region, das Wetter und besprechen die letzten Nachrichten mit dem Fahrer. Die Menschen sind hier sehr offen und freuen sich sehr über die Gäste.

Kargopol

Nun sind wir in der kleinen uralten Stadt Kargopol am Fluss Onega angekommen. Uns holt Leonid ab, der für den Empfang der Besucher in seiner Heimatstadt zuständig ist. Er ist sehr herzlich und möchte mit seltenen Gästen die Schönheit und Geschichte von diesem Land teilen. Rundgang im alten Stadtviertel, Aufstieg zum Glockenturm aus dem 18. Jahrhundert mit Sicht auf die Umgebung und den Fluss Onega, der in 400 Kilometer weiter nördlich in das Weiße Meer mündet.

Fluss Onega vom Glockenturm in Kargopol

Mehr als 10 Kirchen für 10 Tausend Stadtbewohner, mehr als 1000 Kirchen und Kapellen im ganzen Archangelsk Gebiet. Das ist wirklich ein heiliges Land, wo jeder Meter mit Gebeten ausgefüllt ist.

Nicht nur durch Holzbaukunst und Natur ist der Norden bekannt. Authentische Kunst, Traditionen und Handwerke waren hier seit alters her sehr entwickelt. Heute lernen wir das Kargopoler Spielzeug kennen. Es ist ein Begriff in Russland, so wie Matrjoschka oder Gschel Bemalung. Im kleinen Landeskundemuseum ist eine Werkstatt eingerichtet, in der man schon vorbereitete Tonfiguren mit traditionellen nordischen Ornamenten bemalt. Unsere "Glöckchen" lassen wir abtrocknen und fahren nachmittags weiter.

Tonglöckchen. Kargopol. Reisen in Russland.

Selbstbemalte Glöckchen in der Werkstatt, Kargopol

Nächster Halt ist das Dorf Werschinino, das Zentrum im nördlichen Teil des Kenosero Naturschutzparkes. Während weiterer drei Stunden erleben wir richtige Landstraßen, Dörfer aus Holzhäusern, von welchen schon manche verlassen sind, und die seltenen Bewohner.

Unterwegs sollen wir den Fluss Onega überqueren, aber eine feste Brücke gibt es hier nicht - im Winter fährt man über das Eis, im Sommer wird extra eine Pontonbrücke angelegt. Voll mit Passagieren fährt das Auto nicht darüber, nun müssen wir aussteigen. Froh endlich frische Luft zu atmen und sich die Beine zu vertreten, lassen wir das Auto fahren und gehen langsam über die Brücke. Die kurze Strecke können wir aber nicht schnell zurücklegen, denn wir müssen unsere Fotoapparate vorbereiten: hier öffnet sich ein toller Blick auf die wilde fast unbesiedelte Gegend: mit dichten Wäldern bedeckte Ufer von der unglaublicher grüner Farbe, ein wirbelnder Fluss und unendlicher Himmel. Ein tolles Fotomotiv!

Kirche der Heiligen Paraskewa Pjatnitsa

Bei einem kleinen Dorf machen wir eine Fotopause. Über den Kena-Fluss ist eine schon baufällige Holzbrücke angelegt, am anderen Ufer erhöhen sich Kuppeln der Kirche zu Ehren der Heiligen Paraskewa Pjatnitsa aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Lange Zeit war sie geschlossen und zerstörte sich, jetzt ist die Kirche wieder aktiv. Hoffentlich wird die Brücke repariert, denn eine Überfahrt scheint jetzt gefährlich zu sein. Aber die gesamte Aussicht ist unwahrscheinlich, sowas sieht man sonst nirgendwo - das nördliche Dorf unverändert seit 200 Jahren.

Dorf Werschinino

In Werschinino werden wir von der netten Gastgeberin empfangen und in unser Haus begleitet. Tanja kommt aus Archangelsk und arbeitet hier im Sommer. Es ist ein richtiges russisches Dorfhaus!

Mit einem Ofen, handgemachten Patchwork-Decken und Handwaschbecken, die ich nur bei meiner Oma in der Kindheit im Dorf gesehen habe. Im großen Hof ist eine kleine private Banja, die man anstatt der Dusche benutzt, und ein endlos spiegelnder See. Der ist so riesig und schön, dass man nur hier den ganzen Urlaub verbringen kann, um den im glatten stillen Wasser widergespiegelten Himmel und die absolute Ruhe zu genießen.

Hunger ist aber niemals dein Freund und wir begeben uns in Richtung einer kleinen Kantine für die Naturparkbesucher. Das Essen ist einfach, aber man hat hier das, was man in keinem der teuersten Restaurants Moskaus entdecken kann: frisch gefangenen Fisch, gerade erst im Gemüsegarten gesammelte knackige Gurken und saftige Tomaten mit hausgemachter saurer Sahne und Piroggen mit Kräutertee. Wie viele Füllungen haben lokale Kuchen?! Beeren, Fisch, Kartoffeln, Pilze, Fleisch und sogar Hirse. Solche Kuchen habe ich nirgendwo früher probiert und werde sie nirgendwo mehr finden! Für Tee und Wein, Frischmilch und Samogon (selbstgebrannter Wodka) - zu allem passen sie ideal.

Tipp von Anna: Nehmen Sie unbedingt lokale Nastoiki auf Beeren nach Hause mit

Traditionelles Mittagessen

Im Dorf gibt es keine Touristen außer uns. Unsere Nachbarn sind Restauratoren aus der Akademie der Künste, die hier für Erneuerung der Holzkapellen und Ikonenmalereien sind. Sie sind schon zu echten Dorfbewohnern geworden: gehen angeln, besuchen die Banja und befahren die lokalen Seen mit dem Boot. Nun sind wir hier auch schon zu Hause. Wenn man am Seeufer unter dem hellblauen Himmel der Weißen Nächte sitzt und kein Geräusch hört, spürt man nur, wie Freude und Harmonie das Herz füllen, so dass die Müdigkeit des anstrengenden Tages ins Leere verschwindet.

Tipp von Anna: Planen Sie im Voraus einen Besuch von der traditionellen russischen Banja. Sie befindet sich direkt am Seeufer, danach muss man unbedingt ins kühle Wasser springen.

Mit dem Schrei vom Hahn aus dem Nachbarhof und sanftem Sonnenlicht geweckt treffen wir den neuen Tag und bereiten uns auf das große Reiseprogramm vor.

Die Tourismusbranche in Kenosero wird von sehr engagierten Leuten entwickelt, die ihr Land sehr lieben und dies den Gästen mit Wärme und Stolz präsentieren möchten. Unser Programm ist sehr vielfältig, obwohl es einem kaum scheint, dass man in so einem wilden Land vieles erleben kann. Schon der erste Eindruck ist außerordentlich! Die Bekanntschaft mit dem Dorf und Geschichte von dieser Gegend haben für uns lokale Reiseleiter durchgeführt. Und das waren Kinder. Den lokalen Schülern wird Geschichte und Kultur des Heimatlandes unterrichtet, und beim Besuch der Gäste haben sie eine Chance die gewonnenen Kenntnisse zu teilen. Die Idee ist so einfach, aber so schön und wichtig: auf solche Weise wird den kleinen Dorfbewohnern Liebe zum Land beigebracht, in welchem sie geboren sind.

An den Ufern der Seen sind überall kleine Dörfer angesiedelt, zu den meisten ist der Zugang nur über das Wasser im Sommer und über das Eis im Winter möglich. Kleine Motorboote besitzen hier alle Familien, das ist viel nötiger als ein Auto.

Vielen Dank für die Bilder an Mila Iljuschina

Mit kleinen Minibussen oder Motorbooten, die bei schweigsamen Fahrern gesteuert werden, erreichen wir die nahliegenden Siedlungen. Wir besuchen kleine lokalen Museen, wo nette Damen uns über Geschichte und Traditionen berichten, und Handwerker uns ihre Kunst im Birkenholzflechten beibringen, gehen tief in den Wald, um in der Dichte der Bäume kleinste hundertjährige Holzkapellen zu entdecken, die von den Einheimischen sehr verehrt und gepflegt werden.

Der nördliche Bau der Holzkirchen ohne einen einzigen Nagel ist hier zu einer Kunst geworden. Die Tradition das Dach der Kirchen in Form von einem Kreis mit auseinandergehenden Strahlen mit Ikonenmalereien namens "Nebesa" (Himmel) zu schaffen wurde zu ihrem Hauptmerkmal und brachte den Kapellen von nur zwei Quadratmetern Fläche das größere Raumvolumen.

"Nebesa"

Am Abend gehen wir im Dorf spazieren, besuchen die Banja, von welcher man direkt in den kalten See springen kann, sitzen im Freundeskreis am Ofen und verkosten das lokale hausgemachte Löwenzahn-Getränk mit "obligatorischen" Piroggen. Die Zeit scheint hier stehengeblieben zu sein. Stress, Chaos und der Drang von Problemen blieben irgendwo weit. Wir genießen das Leben und schlafen endlich tief und ruhig, wie wir nur in der Kindheit geschlafen haben.

Tipp von Anna: Besuchen Sie eine Meisterklasse der lokalen Handwerker: kleine Körbchen aus dem Birkenholz flechten, Spielzeuge filzen oder Kräuterteebouquet selbst sammeln - das macht Spaß und öffnet die Tür zur lokalen Lebensweise

Wir haben viele Dörfer besucht und viele Einheimischen kennengelernt, aber eines ist besonders - das Dorf, in dem es nur ein Haus gibt und in welchem nur eine Frau wohnt. Walentina Egorowna wurde in diesem Dorf geboren, damals, vor mehr als 70 Jahren, war dies eine große Siedlung, wo viele Familien mit Kindern gelebt haben. Dann wurden die Kinder groß und zogen in die Großstädte, ihre Eltern verstarben. Auf diese Weise ist das Dorf fast ausgestorben. Tausende Dörfer verschwinden so von unserer Landkarte. Aber nicht das Dorf von Walentina Egorowna.

Sie blieb in ihrem Elternhaus und hat im Leben ein großes Ziel - ihr Dorf am Leben zu erhalten. Sie schreibt ein Buch über seine Geschichte und ihre persönlichen Erinnerungen, kümmert sich um das Haus und den Garten, baut in Partnerschaft mit dem Naturschutzpark ein kleines Gästehäuschen daneben und träumt davon, dass eines Tages jemand als Besucher kommt und entscheidet für immer in diesem Haus zu bleiben. Ihr Sohn wohnt in Werschinino und kommt sie jeden Tag mit dem Boot besuchen, bringt Post und Lebensmittel. Sie ist sehr aktiv, fährt selbst das Ruderboot, läuft Ski und freut sich sehr über Gäste. Ihre Lebensfreude, glänzende Augen, leckerste Pfannkuchen aus dem Ofen mit Kräutertee aus dem Samowar (Selbstkocher) und lustige Geschichten machen diesen Besuch zum Höhepunkt der Reise. Die Bekanntschaft mit den tollen Leuten ist ein unentbehrlicher Teil der Reise. Walentina Egorowna bleibt für immer in unseren Herzen. Ich hoffe sehr, dass ihr Traum in Erfüllung geht!

Tee aus Samowar und Blini. Kenoserski Naturschutzpark. Reisen in Russland.

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Nach drei Tagen Aufenthalt spürt man sich froh und wie neugeboren. Auf dem Rückweg holen wir unsere Glöckchen in Kargopol ab und glauben unseren Augen nicht: die Stadt, die uns auf dem Hinweg klein, verloren und provinziell schien, sieht nun groß und laut aus.
Wieder den Bahnsteig am Jaroslawler Bahnhof in Moskau betretend tragen wir nicht nur lokalen Fisch, Beeren und Flaschen mit Nastoiki (auf den nördlichen Beeren gebrannter Wodka) mit uns. Ruhe, Stille und Harmonie, die man im weiten Land namens Kenosero kennengelernt hat, bleiben für immer in meinem Herzen, in dem Eck, der für die Seele verantwortlich ist.

Abend am Kenosero

REISEPLAN:

Tag 1 - Nachtzug Moskau - Njandoma
Tag 2 - Njandoma - Kargopol - Werschinino
Tage 3, 4 - Werschinino
Tag 5 - Werschinino - Kargopol - Njandoma. Nachtzug Njandoma - Moskau
Tag 6 - Ankunft in Moskau