Landgüter der großen Russen

Polenowo. Konstantinowo. Jasnaja Poljana.
2-3 Stunden
Autofahrt von Moskau
Land und Leute,
Kunst und Literatur
malerische Landschaften
und Parkanlagen
Anna Safronowa
Erlebnisse

  • über das Schicksal eines der berühmtesten russischen Schriftstellers Leo Tolstoi in Jasnaja Poljana erfahren
  • durch den malerischen Wald, am Ufer des Flusses Oka und im fabelhaften Künstlerhaus in Polenowo spazieren gehen
  • das echte Bauernhaus im Heimatdorf des volkstümlichen Dichters Sergei Jesenin Konstantinowo besichtigen
Schriftsteller Leo Tolstoi, Dichter Sergei Jesenin und Maler Wassili Polenow sind Russen, die für ihr Schaffen auf der ganzen Welt bekannt sind. Wie auch andere herausragende Künstler lebten sie in Moskau oder in der Umgebung an den malerischsten Orten – an Ufern von Flüssen, in der Wildnis der Wälder, in kleinen Dörfern. Hier arbeiteten sie, ruhten sich aus und suchten nach Inspiration. Während der Reise nach Moskau könnte man einen Tagesausflug in eines der Landgüter einplanen und diese ruhigen gemütlichen Orte mit Atmosphäre voriger Jahrhunderte besichtigen, in das Leben und Schaffen eines der großen Russen eintauchen, und so wahrscheinlich Russland ein bisschen mehr fühlen. Unterwegs schauen wir noch in den benachbarten Städten Rjasan, Tula und Tarusa vorbei.

Partnerstädte in Deutschland:
Rjasan – Münster, Tula - Villingen-Schwenningen


Russland ist für seine großen Künstler, Schriftsteller, Dichter und Komponisten berühmt. In ihren Werken wird seit vielen Jahrhunderten nach der sogenannten russischen Seele gesucht - unerklärlich, rätselhaft, voller Dramatik und leichter Melancholie. Das spürt jeder, der einmal russische Bücher gelesen, klassische Orchestermusik gehört oder in der Kunstgalerie vor dem Gemälde eines russischen Malers gestanden hat.

Ich weiß, dass Russlandliebhaber die russische Kunst gut kennen und sich davon vor der Reise inspirieren lassen. Viele lernen sogar Russisch, um Leo Tolstoi oder Alexander Puschkin im Original zu lesen. Ich bewundere aufrichtig diese Menschen. Das Herz für eine andere Weltanschauung, Kultur und Sprache zu öffnen ermöglicht es, eigenen Horizont und die Palette menschlicher Gefühle zu erweitern. Kunst besteht nicht aus Buchstaben oder Zeichen, die nur für eine Nation verständlich sind, sie spricht die universelle Sprache der Seele.

Wer waren die Leute, von denen die russische Kunst geschaffen wurde? Wie haben sie gelebt? Wo sind sie geboren? Welche Landschaft haben sie jeden Tag aus dem Fenster beobachtet? Es schien mir immer, dass Künstler wohl an den schönsten Orten leben sollten, so unvorstellbar prachtvoll, dass sie jeden Morgen einen schöpferischen Menschen mit neuer Inspiration, neuen Gefühlen und neuer Philosophie erfüllten. Daher war es für mich immer sehr interessant, ihre Häuser zu besuchen, ihre Arbeitszimmer zu sehen, in der Umgebung zu wandern und hoffentlich auch ihre Energie und die Atmosphäre, die sie um sich herum erzeugt hatten, zu spüren.

Die Hausmuseen der großen Russen sind in vielen Teilen des Landes zu finden. Sie lebten in Sibirien, an der Wolga, im Uralgebirge, am Don, in Sankt Petersburg. Hier berichte ich von einigen Landgütern in der Nähe von Moskau, die man als Tagesausflug während einer Reise in die Hautstadt besuchen kann. Vielleicht wird gerade dieser ruhige Tag abseits der aufgetretenen Touristenpfade zum Höhepunkt Ihrer Russlandreise.

Jasnaja Poljana

Klassiker der Weltliteratur, einer der größten russischen Schriftsteller und Denker, Nominierter für den Nobelpreis, Autor der Romane "Krieg und Frieden", "Anna Karenina", "Auferstehung".

Tolstois Werke wurden in 114 Sprachen übersetzt und sind zur Grundlage zahlreicher Theaterstücke und Verfilmungen weltweit geworden.
Leo Nikolaewitsch Tolstoi
(1828-1910)
Im Moskauer Viertel Chamowniki gibt es auch ein Museum von Leo Tolstoi – im Haus, in dem er 20 Jahre lang gewohnt hat. Wir machen uns aber auf den Weg dorthin, wo er geboren wurde, über 50 Jahre lang lebte, die größten Romane schrieb und beigesetzt wurde. Jasnaja Poljana liegt 200 km südlich von Moskau nahe der Stadt Tula. Mit einem Schnellzug erreichen wir Tula nach 2 Stunden, dann fährt man eine halbe Stunde mit dem Auto und noch vormittags ist an Ort und Stelle.

Das ist das riesengroße Landgut mit einigen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden in der bewaldeten, hügeligen Landschaft. Hier gibt es nicht allzu viele Touristen, hauptsächlich sind es russische Gäste und Schulreisen. Wir hatten Glück - auf dem ganzen Gelände waren wir allein. Das ist ein perfekter Ort für stundenlange Wanderungen auf den Kieswegen zwischen den schlanken Birkenreihen und Entspannung an den Teichen.

Jasnaja Poljana wurde im 17. Jahrhundert gegründet und ging bald in den Besitz der Adelsfamilie Wolkonski über, aus der die Mutter des zukünftigen Schriftstellers stammte. Leo wurde hier geboren. Seine Eltern starben aber früh, und vier Kinder wurden von Verwandten großgezogen. Leo studierte in Kasan, lebte in Moskau und Sankt Petersburg, reiste durch Europa, leistete Militärdienst im Kaukasus, kämpfte tapfer im Krimkrieg, kehrte jedoch anschließend nach Hause in sein Familiengut in Jasnaja Poljana zurück.

Jasnaja Poljana, Haus von Leo Tolstoj in Russland
Haus von Leo Tolstoj
Mit einer Neigung zur Reflexion, Selbsterziehung und Philosophieren wurde er von der weltlichen Gesellschaft in der Hauptstadt enttäuscht, machte sich Gedanken über die Moral, den Glauben, den Geist des russischen Volkes und sah immer mehr Sinn in Einfachheit, Freundlichkeit und Wohltätigkeit.

Als Erbe einer wohlhabenden adeligen Familie versuchte Leo Tolstoi, seine privilegierte Stellung zu nutzen, um einfachen Dorfeinwohnern zu helfen. In Jasnaja Poljana ließ er eine Schule bauen, in der er selbst nach eigenem Programm unterrichtete, half den Hungernden, eröffnete kostenlose Kantinen, verteilte Brennholz und Lebensmittel und verteidigte öfters staatlich Interessen der Bauer. Er möchte ein naturnahes Leben führen, trug bescheidene Kleidung, bevorzugte einfaches Essen und beschäftigte sich viel mit Landwirtschaft und körperlicher Arbeit. Sein Streben nach geistlicher Selbstverbesserung veranlasste ihn, sich selbst zu erziehen, Musik und Fremdsprachen zu erlernen.

Jasnaja Poljana, Haus von Leo Tolstoj in Russland
Haus von Leo Tolstoj
Leo Tolstoi glaubte, dass die Grundlage der Gesellschaft weder Staat noch Kirche wäre, sondern die Familie. Er lebte fast 50 Jahre mit seiner Frau Sofia zusammen. Sie war seine treue Lebensgefährtin, Assistentin, Sekretärin, beschäftigte sich mit Haushalt und trug seine Manuskripte vollständig über. Sie hatten 13 Kinder, fast alle von denen während der Sowjetzeit das Land verließen. Heute finden in Jasnaja Poljana jährlich Treffen der Nachfahren des Schriftstellers statt. Die Urenkelin von Leo Tolstoi ist nun Leiterin des Museums und Hüterin seiner Traditionen.

Es scheint, dass alles hier genauso wie vor mehr als 100 Jahren aussieht. Im Landgut ist ursprüngliche Innenausstattung mit Originalmöbeln erhalten geblieben. Als würde Leo Nikolaewitsch selbst gleich den Raum betreten, seinen langen Bart streicheln und sich an den großen Schreibtisch sitzen.

Jasnaja Poljana, Haus von Leo Tolstoj in Russland
im Arbeitszimmer. 1909

Staatsmuseum Jasnaja Poljana
In Jasnaja Poljana schuf er die wichtigsten Werke: den Roman „Anna Karenina" über eine tragische Liebesgeschichte, „Auferstehung" über einen schwierigen Weg zur Umbesinnung und „Krieg und Frieden" – ein Epos über verschiedene Familien, Menschen, Ränge und Temperamente während der komplizierten Periode in der russischen Geschichte. Im Zentrum seiner Romane steht die Fähigkeit der menschlichen Seele zu geistlichem Wachstum, Verbesserung und Widerstand gegen die Umwelt. Sie sind von Realismus und tiefer psychologischer Analyse durchdrungen, für die sie sowohl in Russland als auch in der ganzen Welt große Anerkennung gefunden haben. Die Gestalten von Leo Tolstois Werken waren von ihm selbst, seinen Verwandten und der Geschichte seiner Familie abgeschrieben. Beim Nachdenken über die Schicksale der Romanhelden beschrieb er seine Erfahrungen und Gefühle, die jedem Menschen nah waren.
Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, aber jede unglückliche Familie jedoch ist auf ihre besondere Weise unglücklich
aus "Anna Karenina"
Welterfolg von den Werken, Unterstützung in der Gesellschaft und das Erscheinungsbild eines einfachen, volksnahen Schriftstellers weckten eine große Verachtung zu Leo Tolstoi. Als er im Jahr 1910 starb, versammelten sich einige tausend Menschen zur Beerdigung in Jasnaja Poljana, in Moskau und Sankt Petersburg fanden Volksdemonstrationen statt, Theater, Kinos, Fabriken, Geschäfte und Buchhandlungen hörten auf zu arbeiten. Während des Spaziergangs entlang der Waldwege im Landgut fanden wir sein Grab - keine pompöse Denkmäler, goldene Gedenktafeln oder andere Zeichen des nationalen Ruhms, sondern nur ein unauffälliger grüner Hügel mit ewigem Blick auf den Birkenwald.

Während des Zweiten Weltkrieges war Jasnaja Poljana 45 Tage lang besetzt, stark beschädigt, aber später vollständig restauriert. Im Gut sind die meisten Bauten erhalten geblieben: das Haus von Leo Tolstoi, das Haus von seinem Großvater Wolkonski, Einfahrtstürme, Kutscherhaus, Holzbauwerkstatt, Gewächshaus, Gartenlauben. Wahrscheinlich ist es aber nicht das Wichtigste. Das weitläufige Gelände ist unglaublich malerisch: die Birkenallee namens Prespekt, kleine Holzbrücken, endlose grüne Hügel und Wälder sind so groß, dass es unmöglich scheint, sie auf einmal zu fassen. Und Stille. Wie still ist es hier! An einem der Wege ist mir ein Schild "Stille Zone" aufgefallen. Hier möchte man ja jedenfalls nicht viel reden und das Gefühl von Frieden und Ruhe verletzen.

Birkenallee in Jasnaja Poljana
Jasnaja Poljana kann man zu jeder Jahreszeit besuchen, aber am besten nicht beim Regen. Es gibt auch diejenigen, die ein Wochenende oder einige Tage lang hier bleiben. Für diese Zwecke verfügt das Museum über ein kleines Gästehaus und eine Gaststätte. Wir aber kehren nach Moskau zurück und schauen unterwegs noch im Stadtzentrum von Tula für einen kurzen Spaziergang und eine Mahlzeit vor dem Abendzug vorbei.

Tula ist das Zentrum der Region, nicht zu sehr von touristischer Aufmerksamkeit verwöhnt, daher ruhig und echt. Wir besuchten den gepflegten und eleganten Kreml, spazierten entlang des gemütlichen Kais und der zentralen Straßen, bebaut mit Kaufmannshäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Als die von Iwan dem Schrecklichen geschaffene südliche Verteidigungsgrenze des Moskauer Fürstentums wurde Tula für die Herstellung von Waffen berühmt. Im Gebäude des Waffenmuseums in Form eines Militärhelms kann man die gesamte Geschichte der Waffen verfolgen. Im Laufe von 200 Jahren wurde hier eine seltene Ausstellung gesammelt: Schusswaffen, Flugzeuggewehre, Kanonen, orientalische Waffen u.a.

Tipp von Anna: in Russland ist Tula auch als Geburtsort von dem Samowar und traditionellem Gebäck bekannt. Tula Lebkuchen ist eine tolle Idee für ein leckeres Souvenir

Polenowo

Künstler, Meister der Landschafts- und Historienmalerei, Mitglied der kaiserlichen Akademie der Künste Russlands
Wassili Dmitriewitsch Polenow
(1844-1927)
Der zukünftige große russische Maler, dessen Werke heute im Russischen Museum und in der Tretjakow-Galerie ausgestellt sind, wurde in einer adeligen Familie in Sankt Petersburg geboren. Er erhielt eine ausgezeichnete Ausbildung, studierte Mathematik und Rechtswissenschaft, war jedoch von Kindheit an von der Natur Kareliens und Zentralrusslands begeistert, wo er Verwandte besuchte und sich mit Malerei beschäftigte. Seine Großmutter förderte schöpferisches Potenzial ihrer Enkel, erzählte ihnen russische Volksmärchen und biblische Geschichten und vermittelte ihnen Liebe zur Natur. Sowohl Wasili als auch seine Schwester wurden schließlich Maler. Abends nach dem Studium an der Universität hatte Wassili Polenow zusätzlichen Unterricht an der Akademie der Künste, besuchte Opernhaus, komponierte Musikwerke und zeichnete viel nach der Natur.

Während der Rundfahrten in Europa, besonders in der Normandie, entwickelte er immer mehr die Landschaftsmalerei. Auch Reisen zu biblischen Orten wie Palästina, Syrien, Ägypten, Konstantinopel prägten sein Schaffen. In dieser Zeit sammelte er Materialien für das historische Gemälde "Christus und die Sünderin", verfasste zahlreiche Entwürfe und Skizzen. 1888 beendete er die langjährige Arbeit daran. Dieses Werk gilt als Höhepunkt seines Schaffens, wurde auf vielen Ausstellungen präsentiert und ist heute im Russischen Museum in Sankt Petersburg aufbewahrt.

Die erste grafische Version des Gemäldes in voller Größe (307 × 585 cm) sowie einige Skizzen sind in der Werkstatt des Künstlers in Polenowo zu sehen. Das ist großartig. Auf der riesigen Leinwand ist die biblische Geschichte der Begegnung von Christus und einer Ehebrecherin dargestellt, die im Evangelium nach Johannes beschrieben worden ist, und noch einen Namen hat, der ihre Botschaft eher widerspiegelt: wer von euch ist ohne Sünde?

Seit vielen Jahren suchte der Autor nach Gestalten für dieses Werk. Und hier, in einer kleinen Werkstatt 130 km von Moskau entfernt, kann man nachvollziehen, wie dieses Gemälde zusammengefasst wurde. Erstaunliche großformatige Arbeit.

Wassili Polenow erwarb das Landgut am Hochufer der Oka im Jahr 1890 nach dem Verkauf von „Christus und der Sünderin". Er mochte immer die Weite endloser Felder, dichte Laubwälder und Flusslandschaften und träumte davon, im Freien zu leben. Er ließ sich mit seiner Familie im Wald nieder, etwas abseits des Dorfes, baute ein Haus und Kunstwerkstätten sowie eine Kirche im Nachbardorf und ein Volkstheater für die Bauer nach eigenem Bauprojekt. Begeistert für diesen Ort schuf er viel und wollte den Menschen unbedingt über die Kunst erzählen. Das Museum im Landgut wurde noch während seines Lebens eröffnet, er lud Einheimische und Schüler ein und organisierte wolltätige Ausstellungen. Wassili Polenow wurde auf dem Dorffriedhof beigesetzt, aber sein Museum lebte weiter - der erste Direktor war sein Sohn.

Haus von Wassili Polenow am Fluss Oka in Russland
im Landgut von Wassili Polenow
Wir kamen nach Polenowo mit dem Auto, dies ist die bequemste Option. Das Künstlerhaus ist vollständig in ursprünglicher Form erhalten und erinnert sehr an ein fabelhaftes Lebkuchenhaus im Wald, umgeben von Grün und Blumen. Das Museumspersonal legt einen großen Wert auf die Aufbewahrung aller originalen Details der Innenausstattung und der persönlichen Sammlung von Gemälden, Grafiken, Skulpturen, Waffen, Gedenkbüchern. Auch der Ort wurde von Polenow toll ausgesucht. Aus den Hauszimmern und der Werkstatt hat man einen herrlichen Blick auf den Wald, der zum Fluss Oka hinunterführt.
zur Oka
Am gegenüberliegenden Flussufer befindet sich die alte Stadt Tarusa. Im Sommer verkehrt ein kleines Motorboot von Tarusa nach Polenowo, so wird es möglich, den Besuch dieser beiden Orte mit einer Schifffahrt zu verbinden.

Die Stadt ist recht klein, aber sehr gemütlich. Diese malerische Gegend war auch von Schriftstellern, Dichtern und Musikern geliebt. Hier lebten Dichterinnen Marina Tsvetaewa und Bella Achmadullina, Schriftsteller Konstantin Paustowski und Pianist Swjatoslaw Richter. Die ruhige Stadtmitte mit bunten Villas und Holzhäusern und die Uferpromenade mit Sandstränden am Hochufer der Oka passen ideal für erholsame Spaziergänge. Man kehrt nach Moskau entspannt und voll schöpferischer Kraft zurück.

Konstantinowo

Einer der beliebtesten russischen Dichter, dessen Gedichte für jeden nah und verständlich sind.

In seinen Werken besingt er die Natur, das Dorf, das Heimatland, reflektiert über die Liebe und die Suche nach dem Sinn des Lebens.
Sergej Alexandrowitsch Jesenin
(1895-1925)
Wenn Sie einen Russen fragen, wessen Gedichte er liebt und oft auswendig kennt, hören Sie höchstwahrscheinlich den Namen von Sergej Jesenin. Seine Gedichte sind einfach und gefühlstief, so wie er selbst, ein gewöhnlicher Dorfjunge. Im Gegenteil zu den meisten Künstlern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die hauptsächlich adliger Herkunft und dem kaiserlichen Hof nahestehend waren, wurde Sergei Jesenin in dem kleinen Dorf Konstantinowo südlich von Moskau in einer einfachen Familie geboren.
Seine Eltern waren Bauer und besaßen kein luxuriöses Gut mit weitläufigen Grundstücken und mehreren Dienstleuten, sondern nur ein bescheidenes Holzhaus mit einem kleinen Garten, den der Dichter in der Kindheit selbst pflanzte. Sergej besuchte die Dorfschule in Konstantinowo, dann die kirchliche Gemeindeschule im nahliegenden Städtchen und siedelte anschließend nach Moskau um, aber seine Liebe zur Heimat blieb sehr groß.
Dorf Konstantinowo liegt am Ufer der Oka, dem größten Nebenfluss der Wolga. Malerische Ausblicke auf das hügelige Flusstal und die ruhige Dorflandschaft waren für Sergej Jesenin immer eine Quelle der Begeisterung und reiner, aufrichtiger Liebe
Heimat von Sergej Jesenin in Kostantinowo in Russland
Oka bei Konstantinowo
Während des Lebens in Moskau, dann in Petrograd (Sankt Petersburg), der Reisen in Zentralasien, Europa und Amerika, kam er ständig nach Hause zu der älteren Mutter. Sergej wurde ein kurzes Leben vorherbestimmt, er starb mit nur 30 Jahren, aber schon als der berühmteste russische volkstümliche Dichter. Wie viel hätte er noch tun können? Sofort wurden seine Gedichte im ganzen Land verbreitet, von Mund zu Mund übergeben, von Hand umgeschrieben, gedruckt und neu veröffentlicht. Bis heute werden Lieder und Romanzen zu den Versen von ihm gesungen und sehr geliebt.
Ich bedaure nichts, ich rufe nicht ...


Ich bedaure nichts, ich rufe nicht und klage,
Alles geht wie auch der weißen Blüten Dunst.
Wenn das Gold des Abschieds ich heut trage,
hab verloren ich der Jugend Gunst.

Deine Schläge früher kraftvoll klangen,
liebes Herz, in Kälte nun erstarrt!
Doch dies Land, von Birkenflor umfangen,
nie mehr meiner bloßen Füße harrt.

Wanderlust, ich hab' dich nicht gefunden!
Wo ist nur der Jugend Leidenschaft?
Meine Frische lang schon ist geschwunden,
wie des Auges Feuer und des Fühlens Kraft.

So bescheiden meine Wünsche heute!
Und mein Leben? Träumte ich dich nur?
Laut und jagend ich durch meinen Frühling reite,
auf dem Rosen-Ross verlor die Spur.

Alle sind wir Gast in diesem Leben.
Stille fließt wie schwerer Honig übers Laub.
Dank sei dir, uns nun anheim gegeben,
um zu blüh'n, zu sinken in den Staub.

Deutsche Nachdichtung: © Linda

Не жалею, не зову, ...


Не жалею, не зову, не плачу,
Все пройдет, как с белых яблонь дым.
Увяданья золотом охваченный,
Я не буду больше молодым.

Ты теперь не так уж будешь биться,
Сердце, тронутое холодком,
И страна березового ситца
Не заманит шляться босиком.

Дух бродяжий! ты все реже, реже
Расшевеливаешь пламень уст.
О моя утраченная свежесть,
Буйство глаз и половодье чувств.

Я теперь скупее стал в желаньях,
Жизнь моя? иль ты приснилась мне?
Словно я весенней гулкой ранью
Проскакал на розовом коне.

Все мы, все мы в этом мире тленный,
Тихо льется с кленов листьев медь…
Будь же ты вовек благословенно,
Что пришло процвесть и умереть.

1921
Er lebte bunt, unersättlich und mit offener Seele. Er war vielmals verheiratet, auch mit der Enkelin von Leo Tolstoi Sofia Tolstaja und der berühmten amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan, die schwindelerregende Liebesgeschichte mit der immer noch viele bewundert. Er arbeitete viel und führte dabei ein lustiges, flottes Leben in der Hauptstadt. Er genoss es in vollen Zügen und füllte mit der jungen wilden Energie, Liebe zu den Menschen, zur Freiheit und zum Schaffen.

Für seine Offenheit liebte man Sergei Jesenin nicht nur im Volk: noch in der Zarenzeit wurde er nach Petrograd bei der Familie des Kaisers Nikolaus des Zweiten eingeladen, die neue sowjetische Regierung schätzte ihn als den talentiertesten Dichter im Land. Er selbst hielt sich für einen sehr leidenschaftlichen Menschen und begann trotz des großen Freundeskreises, mehrerer Ehefrauen, Kinder und Geliebten an Depression zu leiden, hatte das Gefühl der Verlassenheit und niederdrückender Einsamkeit, von dem die Reisen nach Konstantinowo ihn oft retteten. Aber 1925 fuhr Sergej Jesenin nach Leningrad und mietete das Zimmer № 5 im berühmten Hotel „Angleterre", wo er nach 2 Tagen tot aufgewunden wurde. Historiker und Anhänger streiten immer noch, ob es wirklich Selbstmord war.

Sergei Jesenin wechselte im Laufe des Lebens viele Anschriften, wurde in Moskau beigesetzt, aber sein echtes Haus ist in Konstantinowo. Hier fließt nach wie vor das ruhige Dorfleben und herrscht idyllische Stille. Am Wochenende kommen oft Touristengruppen, hauptsächlich Schulreisen im Rahmen der Bekanntschaft mit der Heimat des großen russischen Dichters. Jährlich findet das Sergei Jesenin gewidmetes Poesiefestival statt, wo Gedichte und Lieder direkt am Ufer der Oka beim großen Porträt des Dichters aufgeführt werden. Im Sommer legen an der Dorfanlegestelle auch Motorschiffe mit Reisenden aus Moskau an. Ich wollte extra an einem Wochentag kommen, um alleine in Ruhe durch das Dorf zu laufen, am Flussufer zu wandern, das Haus von Jesenins Eltern zu besuchen und den Blick auf das Oka-Tal auf einer Holzbank unter der Birke zu genießen.

Das Dorf Konstantinowo entstand im 17. Jahrhundert. Das größte und das schönste Landgut gehörte jedoch nicht Jesenins Eltern, sondern der Kaufleutenfamilie Kaschins. Es ragt merklich in der bescheidenen Dorflandschaft hervor. Der Widerspruch zwischen einem Bauernhaus und einem adligen Gut spiegelt bildhaft das Leben am Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland wider.

Sergej Jesenins Haus ist recht klein, mit traditioneller bäuerlicher Ausstattung, bunten gestickten Bettdecken und Tongeschirr. Eine echte russische „Isba". Sie verkörpert die Einfachheit von Jesenins Seele - ohne unnötige Verzierung und Dekoration, offen und für jeden verständlich. Im Hof wachsen noch Birken, denen Sergei sein erstes veröffentlichtes Gedicht gewidmet hat:
Ganz in Weiß die Birke
ich vor'm Fenster fand,
schneebedeckt im silbern
leuchtenden Gewand..

1913

Übersetzt von Margit Bluhm
Белая береза
Под моим окном
Принакрылась снегом,
Точно серебром..

Es ist interessant, wie Dorfbewohner damals gelebt haben. Nur 100 Jahre sind vorbei, aber so viel blieb nur in der Geschichte, z.B. in der Schule hängen Porträts der kaiserlichen Familie und das vorrevolutionäre kyrillische Alphabet. Man besucht noch das reich ausgestattete Haus des örtlichen Priesters und die Kasaner Kirche, in der der kleine Serjozha (Kurzname von Sergej) getauft worden ist. Das hügelige Tal der Oka öffnet sich direkt vor dem Dorf. Diese malerische Landschaft konnte niemanden gleichgültig lassen, besonders so einen feinsinnigen Lyriker und Naturliebhaber wie Sergei Jesenin.
Heimat von Sergej Jesenin in Kostantinowo in Russland
Zur Oka
Konstantinowo liegt unterwegs von Moskau nach Rjasan. Wenn man vor dem Abendzug noch genug Zeit hat, macht es Sinn noch beim Rjasaner Kreml vorbeizuschauen. Seit dem 5. Jahrhundert existierte an diesem Ort eine kleine Siedlung am Fluss Oka. Die Kremlfestung war ursprünglich aus Holz, die Steinmauern wurden im Laufe mehrerer Jahre errichtet. Heute ist Rjasaner Kreml ein großes architektonisches Bauensemble geschützt von 12 Türmen und auf solche Weise mit Wassergräben und Erdwällen verstärkt, dass er im Notfall von allen Seiten mit Wasser umgeben werden kann.

Auf dem Gelände gibt es eine Reihe von Kirchen aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, von denen die Maria-Entschlafens-Kathedrale im Barockstil mit bunten Steinschnitzereien und der höchsten Ikonostase Russlands herausragt. Vom Kremlhügel kann man zum Fluss hinunterlaufen und im Sommer eine Bootsfahrt auf der Oka unternehmen. Es ist ein sehr angenehmer Ort für einen Spaziergang beim warmen Wetter. Nach dem Abendessen im Stadtzentrum und 2 Stunden Zugfahrt ist man zurück in Moskau.

Rjasan
Rjasan
Das Leben der großen Schriftsteller, Dichter, Künstler, Komponisten, ihre Schicksale, Ursprünge für ihre Genialität und Inspiration ziehen immer an. Das sind sehr persönliche Geschichten. Hier geht es nicht um Tourismus, sondern um den Menschen selbst, um seine innere Welt, um die Lust, mehr zu erfahren und zu verstehen. Wie und wo wurden die Seelen von den Menschen geprägt, die nach Hunderten von Jahren unsere Seelen mit ihrem Schaffen berühren?

Ich weiß nicht, ob so eine Reise helfen könnte, das sogenannte "Rätsel der russischen Seele" zu verstehen - die Russen selbst haben es nicht gelöst. Aber wahrscheinlich gelingt es Ihnen, in die Seele eines der großen Russen hineinzuschauen.
Wenn Sie sich für Hausmuseen interessieren, die vom Leben und Schaffen anderer großer Russen berichten, besuchen Sie auch das Haus des Schriftstellers Maxim Gorki in Nischni Nowgorod, das Landgut des Künstlers Iwan Schischkin in Jelabuga und die Museen der Schriftsteller Anton Tschechow und Michail Scholochow in der Region Rostow am Don
  • ANREISE AUS MOSKAU: alle Landgüter liegen in 2-3 Fahrstunden von Moskau mit dem Zug oder Auto entfernt und machen damit eine interessante Idee zum Tagesausflug während einer Moskaureise.
Jasnaja Poljana: 2 Stunden mit dem Schnellzug nach Tula + 20 Min. mit dem Auto
Polenowo: 2,5 Stunden mit dem Auto
Konstantinowo: 2,5 Stunden mit dem Schnellzug nach Rjasan oder Rybnoje + 40 Min. mit dem Auto


  • EMPFOHLENE REISEDAUER: Tagesprogramm
  • EMPFOHLENE REISESAISON: Mai - September, Dezember - Februar
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